Zur Geschichte des Gewerbevereins Möhringen

Im Folgenden soll in knapper, schlichter Form von der Gründung des Gewerbevereins Möhringen, seiner Geschichte, seinem Wachsen und Werden in den ersten 25 Jahren seines Bestehens berichtet werden.

 

Von der Gründungsversammlung 18. Dezember 1897 bis 1922

 

Von der Bedeutung und Notwendigkeit einer beruflichen, wirtschaftlichen Organisation überzeugt, entschlossen sich einige Gewerbetreibende und Handwerker nach dem Beispiel anderer aufblühender Gemeinden, auch hier einen Gewerbeverein zu gründen.  Nach vorheriger Beratung im engeren Kreise stand am 18. Dezember 1897 die Gründungsversammlung statt. Es wurden dabei zum Vorstand Fabrikant Probst, zum Kassierer Kaufmann Bauer, zum Schriftführer Küfermeister Kiefer gewählt.

 

Von den in jener Gründungsversammlung Anwesenden sind viele schon dem Verein durch den Tod entrissen worden. Es gehören ihm seit 25 Jahren noch an:

 

Biedlingmeier Josef, Gipser- u. Malermeister

v. Ditterich Wilhelm, Apotheker

Furch Jakob, Schreinermeister

Grieb David, Bäckermeister

Grieb Gottlob, Metzgermeister

Günther Christian, Korbmachermeister

Hübner Friedrich, Schl.ossermeister

Längerer Gottlob, Schumachermeister

Probst Berthold, Fabrikant

Schmied Friedrich, Hafnermeister

Stolz Johannes, Metzgermeister

Urfer Albert, Schneidermeister

Urfer Gustav, Schneidermeister

Wolf Gustav, Schmidmeister

Wolf Johannes, Zimmermeister

Wolf K., Metzgerm. u. Gastwirt „Ochsen“

Wolf Wilhelm Metzgermeister

Wolf Wilhelm, Gastwirt „Bahnhof“.

 

Es wurden dann die Vereinssatzungen beraten und beschlossen und so dem Verein eine Richtschnur für seine Tätigkeit und seine Bestrebungen gegeben. Auch wurde ein Ausschuss von 6 Mitgliedern gewählt. Kurze Zeit danach hielt der um die Entwicklung der Gewerbeorganisation hervorragend verdiente Prof. Gießler einen Vortrag über den „freiwilligen Zusammenschluss der Gewerbetreibenden und Handwerker“, der dem jungen Verein neue Mitglieder zuführte.

 

Dann ging es frisch an die Arbeit. Der Verein zählte 65 Mitglieder. Auf dem Gebiet der Gewerbeförderung wurde angestrebt: Erziehung eines tüchtigen Nachwuchses, Einrichtung eines gewerblichen Zeichenunterrichts, Abhaltung von Kursen für gewerbliche Buchführung und kaufmännisches Rechnen. Anmeldung zur Lehrlingsprüfung, Ausstellen der Lehrlingsarbeiten im Landesgewerbemuseum, Regelung des Submissionswesens, Maßregeln gegen Hausierhandel, unlauteren Wettbewerb und Missbräuche bei Ausverkäufen, Einführung von mindestens halb- oder vierteljährlicher Rechnungsausstellung.

 

Schon damals, wie auch oft in späteren Jahren, trat der Verein für Erweiterung und Verbesserung der Verkehrsverhältnisse ein, in Bezug auf Tariferhöhungen und Fahrplan  bei der Filderbahn, Errichtung eines Fernsprechamtes usw.

 

Ebenso stellte der Verein sich zur Aufgabe, im hiesigen Orte ein Vorkämpfer für nützliche Neuerungen zu sein und berechtigte Wünsche und Beschwerden an geeigneter Stelle vorzubringen, so unter anderem Straßenbeleuchtung, Benennung der einzelnen Straßen, Wasserleitung, Verwahrung gegen die Einleitung der Abwasser in den Sindelbach, Heranziehung von Industrie, Ablösung des unzeitgemäßen Pflastergeldes von Seiten der Stadt Stuttgart, Übernahme der Straßen- und Schullasten durch den Staat. Im Jahre 1899 (23. Januar) wurde Apotheker v. Ditterich zum 2. Vorstand gewählt, der Grund zu einer Bibliothek gelegt, die Errichtung einer obligatorischen gewerblichen Fortbildungsschule und eines Gewerbeschulrates angeregt und in enger Fühlungnahme mit den benachbarten Gewerbevereinen ein „Gewerbevereinsverband der Filder zur Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen des Bezirks“ begründet.

 

Im Jahre 1900 (14. Januar) wurde an Stelle des zurücktretenden bisherigen Schriftführers Bäckermeister Karl Kieß gewählt.

 

Gute und vertrauensvolle Beziehungen pflegte der Verein stets mit der Leitung des Verbandes Württembergischer Gewerbevereine, der Handelskammer, der Handwerkskammer und der Zentralstelle für Gewerbe und Handel. In den Ausschußsitzungen wurden in all den Jahren neben den vielfältigen Angelegenheiten namentlich auch die Fragebogen und Rundschreiben dieser Interessenvertretungen von Handwerk und Gewerbe durchberaten.

 

Im Jahr 1901 (28. August) legte der verdiente 1. Vorstand Probst aus persönlichen Gründen sein Amt nieder. Der 2. Vorstand v. Ditterich führte die Vereinsgeschäfte weiter. Im Jahr 1902 (20 Januar) wurde dieser dann zum 1. Vorstand, Bäckermeister Kieß zum 2. Vorstand, Oberlehrer (jetzt Rektor) Plag zum Schriftführer gewählt. Letzterer verwaltete auch die Vereinsbibliothek. Das Amt eines Vereinsdieners übernahm Korbmachermeister Günther, der dies bis heute eifrig versieht. Der Verein entfaltete seine volle Tätigkeit, das für die Filderbahn geplante Elektrizitätswerk nach Möhringen zu bringen und dadurch den heutigen Ort zur Zentrale zu gestalten. Der Entschluss der Gesellschaft wurde zugunsten Möhringens durch Angebot von Kraftabnahme seitens vieler Gewerbevereinsmitglieder vollends entschieden.

 

Am 30.1.1902 legte Kaufmann Bauer aus Gesundheitsgründen die Kassenverwaltung nieder. Wegen seiner Verdienste um den Verein wurde er zum Ehrenmitglied ernannt. Zu seinem Nachfolger wurde Fabrikant Schambach gewählt.

 

An die Fildergesellschaft gerichtete Eingaben und Errichtung von Haltestellen an der Vaihingerstraße und am Sonnenberg hatten Erfolg. Erstere wurde am 1. Mai, letztere am 15. August 1902 eröffnet.

 

Die Frage des Verhältnisses zu dem hiesigen Konsumverein und seinen Lieferanten berührte den ortsansässigen Handel empfindlich und brachte in diesem Jahr viel Unruhe und Gegensätze in den Verein.

 

Das waren die ersten fünf arbeitsreichen Vereinsjahre. Traten ab und zu Schwankungen in der Entwicklung und im Mitgliederstand des Vereins ein, fehlten zuweilen auch nicht trübe Unterströmungen. Immer stand ein fester Kern von Mitgliedern zusammen, die Gleichgültigen mit sich fortreißend.

 

Freudig wurde im Jahr 1903 der Beschluss der Handwerkskammer begrüßt, einer Anregung des Vereins zufolge für die Prüfung der Lehrlinge im eigenen Prüfungsbezirk „Filder“ mit dem Sitz in Möhringen zu bilden. Da zum Vorsitzenden der Vorstand des hiesigen Gewerbevereins bestimmt wurde, entstand diesem namentlich durch die jährliche Ausstellung der Gesellenstücke und Zeichnungen, sowie die Verteilung der Diplome und Preise viel Arbeit. Zur Beaufsichtigung des Lehrlingswesens im Bezirk wurde nach Vorschlag des Vereins Bäckermeister Kieß aufgestellt. Von der Amtskorperation Stuttgart wurde einer Eingabe des Vereins zufolge ein jährlicher Betrag von Mk. 100 zur Förderung des Lehrlingswesens im Prüfungsbezirk „Filder“ bewilligt, der namentlich zu Prämienzwecken für gute Leistungen in der Prüfung verwendet wird.

 

Für Gesellen und Meister wurden mehrere Jahre nacheinander gut besuchte Buchführungskurse abgehalten. Auf neutralem Boden stehend betätigte sich der Verein politisch nicht, dagegen stellte er bei Gemeinderats- und Bürgerausschußwahlen regelmäßig Kandidaten auf.

 

Im Gewerbeschulrat ist der Verein stets vertreten gewesen. Zur Zeit gehören ihm an:

Oberlehrer Ostertag (Vorsitzender), Apotheker v. Ditterich, Müllermeister Kern, Schlossermeister Beck.

 

Wünsche und Bestrebungen des Vereins, im Zusammenschluß mit Nachbarorten die Gasfrage zu lösen, eine vollständig ausgebaute Realschule und ein Bezirkskrankenhaus zu errichten, der Oberamtssitz von Stuttgart in den Bezirk selbst zu verlegen, blieben unerfüllt.

 

Einen glücklicheren Erfolg hatte der Verein dagegen mit seinen Anregungen, Möhringen die Wohltat einer Wasserleitung zu verschaffen.

 

Nachdem in einer ausschlaggebenden Versammlung in Echterdingen Baudirektor Dr. v. Ehmann einen Plan zur Wasserversorgung der Fildergemeinden entworfen hatte, wurde dieser durch Zusammenschluss von 18 Fildergemeinden und mit Unterstützung von Staatsmitteln ausgeführt. Im Jahre 1904 wurde mit dem Bau begonnen. Leider konnte der hochverdiente v. Ehmann die feierliche Eröffnung dieses segensreichen Werkes (am 8. Oktober 1906) in Neckartailfingen nicht mehr erleben. Zu seiner ehrenden Erinnerung wurde an dem Gedenkstein von dem Vereinsvorstand ein Lorbeerkranz mit Widmung niedergelegt. Der industriebringende, das gewerbliche Leben begünstigende Einfluß der Staatsbahn fehlt leider in Möhringen. Umso mehr strebte der Verein stets, wenn auch vergebens eine direkte Verbindung mit dem nahen Stuttgart durch eine Straße oder Straßenbahn über Sonnenberg-Heslach an. Ebenso bewegte die Frage, ob im Orte Gas oder Elektrizität eingeführt werden soll, stets lebhaft die Gemüter. Für Industrie  und Kleingewerbe schien die Beschaffung elektrische Energie und Ausrüstung mit Arbeitsmaschinen und Motoren besonders wichtig. Es war daher erfreulich, daß es den Bemühungen der Gemeindeverwaltung gelang, durch Abschluß eines Vertrages mit den Neckarwerken Altbach-Eßlingen den Ort (7. September 1904) mit elektrischer Kraft und elektrischem Licht zu versorgen.

 

Mit der zeitgemäßen Ausgestaltung des gewerblichen Fortbildungsschulwesens erklärte sich der Verein im Jahre 1905 in seiner Mehrzahl für einverstanden, wünschte aber, es möchte in Bezug auf Schulzwang und Unterrichtszeit den gegebenen, örtlichen Verhältnissen und einzelnen Gewerbearten Rechnung getragen werden. Auf die Bedeutung der Meisterprüfung und die von der Zentralstelle abgehaltenen Kurse wurde wiederholt und ermunternd hingewiesen.

 

Im Jahre 1907 (30. Januar) wurde Fabrikant Probst zum 2. Vorstand, Schreinermeister Furch, da Fabrikant Schambach eine Wiederwahl ablehnte, zum Kassier gewählt. Der Handwerkskammer wurde als Beauftragter zur Kontrolle des Lehrlingswesens Maurermeister Gottlieb Neuffer vorgeschlagen. Durch die Bemühungen des Vereins erhielt die hiesige zweiklassige gewerbliche Fortbildungsschule auch die Berechtigung zur Prüfung in den Schulfächern.

 

In den nächstfolgenden Jahren machte sich unter den Vereinsmitgliedern eine gewisse Entmutigung geltend, die sich auch in einem schwachen Besuch der Versammlungen äußerte. Die Ursache war die im Verhältnis zu den Nachbargemeinden stockende Bautätigkeit, getäuschte Hoffnungen auf Zuwachs von Industrie, die durch den Bau der Germania Gummiwerke erweckt waren, nicht befriedigen der Ernteertrag der Landwirte, Verteuerung der Lebensbedürfnisse, große Anforderung an die Steuerkraft. Auch schwebte damals schon eine Gewitterschwüle über dem politischen Horizonte; selbst die sonst so gefestigte Mutter Erde machte sich durch ein Erdbeben (am 16. November 1911) drohend und geräuschvoll bemerkbar.

 

Der Stillstand der Widmaierschen Brauerei 1912, die für viele Geschäftsleute eine gute Einnahmequelle gebildet hatte, wurde bedauernd empfunden. Der Verein bemühte sich um die Förderung der Villenkolonie „Sonnenberg“ und um die Instandhaltung des alten Friedhofes. Eine Eingabe an die Post- und Telegraphenverwaltung um Erbauung des Postgebäudes an der Ecke Bahnhofstraße und Bahnhofplatz blieb ohne Erfolg. Zu wenig wurde auch die Mahnung des Vereins „kauft am Platze“ beherzigt. Die Mitgliederzahlt betrug 77.

 

Im Jahre 1911 (11. Jan.) wurde an Stelle des wegen Geschäftsüberbürdung zurücktretenden, verdienstvollen seitherigen Schriftführers Oberlehrer Plag, Hauptlehrer Konrad gewählt. Im gleichen Jahre wurde hier ein „Bürgerverein“ gegründet, dem die meisten der Vereinsmitglieder beitraten und zu dessen Vorsitzenden der Vereinsvorstand v. Ditterich gewählt wurde. Viele Fragen wirtschaftlicher Natur wurden von diesem neuen Verein übernommen und gemeinsam mit dem Gewerbeverein behandelt.

 

Die Einweihung des neuen schönen Schulhauses und der Verbandstag des Württ. Bäckerinnungsverbandes (11. Juni 1912) waren erfreuliche, denkwürdige Erscheinungen. In diesem Jahre wurde der Vorstand zum Vorsitzenden des Ersten Gaues (Weltgau) der Gewerbevereine des Handwerkskammerbezirks Stuttgart gewählt. Da er als solcher auch Mittglied des Landesausschusses des Verbandes Würt. Gewerbevereines wurde, boten sich auch dem Vereine manche Vorteile. Das Amt eines Vorsitzenden des Gesellenprüfungsausschusses übernahm Bäckermeister Kieß, nach dessen frühzeitigem Tode (1915), Gipser- und Malermeister Joseph Biedlingmeier. Bezüglich der Sonntagsruhe lehnte der Verein weitere Einschränkungen ab, die Einführung einer neuen Verbandszeitung, Gründung einer Krankenunterstützungskasse, Errichtung eines Handwerkererholungsheims wurden befürwortet.

 

Im Jahre 1913 (20. Januar) bat der seitherige Schriftführer Hauptlehrer Konrad, an seine Stelle aus Zweckmäßigkeitsgründen den an der gewerblichen Fortbildungsschule tätigen Hauptlehrer Ostertag zu wählen. Dieser wurde gewählt und führt seitdem dieses Amt.

 

Im gleichen Jahre sprach in einer Versammlung Landtagsabgeordneter Hiller über Zweck und Ziele der Rabattsparvereine. Kurz darauf erfolgte die Gründung eines Rabattsparvereines. Überhaupt wurden im Laufe der Jahre eine Reihe von Vorträgen gewerbefördernder und bildender Art gehalten. Auch wurden regelmäßig die Verbandstage und Gauversammlungen von Abgeordneten des Vereins besucht und darüber in den Versammlungen jeweils berichtet. Größere (Familien-) Ausflüge wurden unternommen nach Wasseralfingen-Aalen (27.8.1900). Kirchheim und Aufstieg auf die Teck (8.9.1902), Unteres Neckartal (Heilbronn, Neckarfahrt Böttingen) Grundelsheim, Wimpfen (31.8.1903), Pforzheim-Neuenbürg-Wildbad (2.7.1906), Friedrichshafen-Lindau-Bregenz-Konstanz (14. u. 15.7.1908), Untertürkheim (22.10.1908), Feuerbach (1912), Heidelberg (12.5.1914), Ludwigsburg (27.7.1914), Niedernau (1920), Lichtenstein (1921).

 

Im Herbste des Jahres 1914 übertönte der Lärm der Mobilmachung und der Beginn des furchtbaren Weltkrieges das friedliche Leben der Heimat. Es begann der Leidensweg, der unsrem Volke beschieden ist. Alle waffenfähige Mannschaft, darunter auch 18 unsrer Mitglieder, zog in den Kampf hinaus.  Festgewillt, die Grenzen des Vaterlandes zu schützen, den Ansturm mächtiger Feinde zurückzuschlagen. Aller Parteizank wurde über Bord geworfen. Man hoffte auf baldigen Sieg und ehrenvollen Frieden. Viel Tränen und Leid brachte bald der Krieg, viel Lebensglück zerbrach er. Und doch, daß die Heimat von den schwersten Prüfungen des Krieges verschont blieb, der Feind von ihrem Boden fern gehalten wurde und wir daheim innerhalb des unerschütterlichen, feldgrauen Walles der gewohnten Tätigkeit nachzugehen vermochten, verdanken wir unserem heldenmütigen Heere und seinen Führern.

 

Während des Krieges wurden die Versammlungen auf ein Mindestmaß beschränkt. Besonders waren es die durch den langen Krieg entstandenen Verhältnisse, die der Ordnung bedurften; Arbeiten, welche die schwer bedrängten Schichten des Mittelstandes über die Kriegsnöte hinwegzuhelfen versuchten; so die Verteilung der Nahrungsmittel, wozu die Einrichtung von Kundenlisten jedoch vergebens versucht wurde, Aufstellung von Sachverständigen u.s.w. Große Waffenerfolge hatten zu Beginn des Krieges unsre Heere weit in das Feindesland hineingebracht. Das Wirtschaftsleben in der Heimat war nicht, wie unsre Feinde so zuversichtlich hofften, zusammengebrochen; im Gegenteil es hatte sich weiter entwickelt, neue Werte geschaffen, die Industrie bewegte sich unter dem Zeichen der Hochkonjunktur.


Aber anderseits standen die meisten Betriebe unserer ausmaschierten Mitglieder, namentlich die des Baugewerbes still, von den übrigen wurden nur wenige durch Militärlieferungen günstig beeinflußt; Versuche des Vereins, Rohmaterialien zu beschaffen waren meist erfolglos, die Lehrlinge wandten sich den Fabriken zu, die hohe Löhne zahlten. Ein in der Gemeindeturnhalle gut ausgerüstetes Lazarett wurde bald wieder aufgelöst; die Verlegung einer Garnison hierher, die das Geschäftsleben hätte etwas erhöhen können, wurde vergeblich angestrebt. Den ins Feld gezogenen Mitgliedern wurden des öfteren Liebesgaben gesandt; auch beteiligte sich der Verein an der Gründung einer Jugendwehr. Eine große Lücke in das Vereinsleben riß der Tod des verdienten Obermeisters der Bäckerinnung Karl Kieß. Im Jahre 1916 (7. Febr.) wurde Schneidermeister Gustav Urfer zum Kassier gewählt; er hatte schon einige Zeit vorher für den erkrankten Kassier Furch die Kasse verwaltet und führt seitdem umsichtig und eifrig sein Amt. Im Anschluß an einen Vortrag von Hauptlehrer Konrad über „Bargeldlosen Zahlungsverkehr“ am 12. November 1916 erfolgte die Gründung einer Girokasse der Oberamtssparkasse Stuttgart. Die mannigfachsten wirtschaftlichen Fragen kamen während der Kriegszeit zur Beratung, so die Wiedereinstellung der vom Felde heimkehrenden Angestellten und Arbeiter. Abgabe überschüssigen Heeresgerätes an das Handwerk, Freigabe von Metallen u.s.w.

 

Um während des Krieges den Beschützern der Heimat ihre wirtschaftlichen Sorgen so weit als möglich abzunehmen und nach Kriegsende den Heimkehrenden die Wiederaufnahme des Berufes zu erleichtern war die „Kriegshilfe Württemberg“ gebildet worden. Der Verein wurde Mitglied und der Vorstand Mitglied des Bezirksausschusses. Mancher durch den Krieg unverschuldet in Zahlungsschwierigkeiten geratene Gewerbetreibende konnte durch Gewährung von Darlehen unterstützt werden. Im Spätherbste 1918 brach dann der schwere Schicksalsschlag über uns herein: Der Abschluß eines schmachvollen Friedensvertrages, der Zusammenbruch des Vaterlandes.

 

Nun galt es, alle Kräfte anzuspannen, um in gemeinsamer Arbeit die deutsche Heimat wiederaufrichten zu helfen, aus Not, Knechtung und innerem Unfrieden.

 

Die nächsten Aufgaben waren: Ablehnung aller Sozialisierungsbestrebungen durch Staat und Gemeinde, Änderung des schematischen Achtstundentages, Gesamtorganisation des deutschen Handwerks und Gewerbes, Tarifverträge, Stellungnahme gegen den Umsatzsteuerentwurf und gegen die Durcharbeitszeit u.s.w.

 

Im Jahre 1920 (13. Januar) legte der Vorstand v. Ditterich aus Gesundheits- und Altersrücksichten sein Amt nieder. Ebenso lehnte der 2. Vorstand Probst, der jahrelange dem 1. Vorstand mit Rat und Tat zur Seite gestanden war, aus Geschäftsrücksichten eine Wiederwahl ab. Beide wurden durch einmütigen Vereinsbeschluß zu Ehrenvorständen ernannt. Zum 1. Vorstand wurde Buchdruckereibesitzer Richard Wahl, zum 2. Vorstand Metzgermeister D. Breuning einstimmig gewählt.

 

Mitglieder der Handelskammer waren: Küfermeister Kiefer 1903 – 1909; Bäckermeister Kieß 1906 – 1915; Gipser- und Malermeister Josef Biedlingmeier ist von 1909 bis heute noch Mitglied. Von diesen wurde jeweilig über die Verhandlungen Bericht erstattet.

 

Mit der Übernahme der Filderbahn teils durch den Staat, teils durch die Stadt Stuttgart, erledigte sich eine Frage, die den Verein seit vielen Jahren fast ununterbrochen beschäftigt hatte. In Bezug auf Gründung einer Betriebsgemeinschaft unter finanzieller Heranziehung der Fildergemeinden verhielt sich der Verein ablehnend.

 

Die Jahre des Weltkrieges hatten eine starke Preisumwälzung bewirkt, der dauernde Tiefstand der Markwährung, das Steigen der Rohmaterialien und Arbeitslöhne, die wirtschaftlichen Kämpfe, Lohnbewegungen und Arbeitseinstellung bildeten eine fortwährende Erschütterung des selbständigen Gewerbestandes. Um so erfreulicher war als Zeichen der Notwendigkeit eines engeren Zusammenschlusses aller Gewerbetreibenden eine Erhöhung der Mitgliederzahl um 44, so daß der Verein am Ende des Jahres 1920 104 Mitglieder zählte, ein harmonisches Zusammenarbeiten mit den Innungen, eine engere Fühlungnahme zwischen den Bauhandwerkern und ein reges Interesse an den Versammlungen und Veranstaltungen des Vereins.

 

Im Jahre 1921 wurde der Vereinsausschuß auf 12 Mitglieder erhöht und eine Eingabe um Aufhebung des Lebensmittelamtes an das Gemeindekollegium gerichtet. Ein vom Verein veranstalteter und von Hauptlehrer Ostertag geleiteter Vorbereitungskurs zur Meisterprüfung erfreute sich eines zahlreichen Besuches von hier und Umgebung. Der Tagung der Württ. Handwerker im Juli dieses Jahres in Stuttgart, die sich gegen die unerträgliche Belastung durch die Gewerbesteuer richtete, wohnten viele Mitglieder an. Die Wohnungsnot ist hier eine große, die Bautätigkeit eine kleine. Um letztere zu heben, wurde eine Baugenossenschaft (Bau- und Sparverein) gegründet. Die Durchführung der Straßenbahn bis Leinfelden wurde vielfach erörtert und im Interesse des Verkehrs mit den südlich gelegenen Fildergemeinden gewünscht: für das Handwerkererholungsheim wurde eine Spende gegeben sowie Anteilscheine gezeichnet.

 

Das Jahr 1922 steht im Zeichen der Vorbereitung zu einer Gewerbe-Ausstellung, die für immer einen Marktstein in der Vereinsgeschichte und unserm rührigen Handwerkerstand einen neuen Antrieb zu freudigem, erfolgreichem Schaffen bilden soll.

Am 6.9. dieses Jahres starb Küfermeister Kiefer, ein verdientes Mitglied und ein Mitgründer des Vereins.

Die Mitgliederzahl beträgt heute 125.

Der Verein feiert am 23. September sein Jubiläum; es fällt in eine ernste und schwere Zeit; auch die Zukunft ist trüb. Aber wir dürfen den Mut nicht sinken lassen. Aus dem Rückblick auf die verflossenen 25 Jahre des Bestehens des Vereins ersehen wir die Befriedigung, was er seinen bescheidenen Kräften angemessen bei einem treuen Zusammenhalt der Mitglieder erreicht hat. Dieser bisherige Erfolg bürgt dafür, daß seine Bestrebungen auch in Zukunft keine nutzlosen sein werden.

 

Jedoch mit beruflicher Organisation allein wird Handwerk und Gewerbe nicht gehoben; der Erfolg hängt von der Tüchtigkeit des Einzelnen ab.

 

Wir bewundern in unserm Vaterlande manches schöne Denkmal gediegener Handwerksarbeit; Beweise, welch hohen Stand das Handwerk in der deutschen Vergangenheit einnahm.

 

Möge gestützt auf solche Überlieferungen auch in der Gegenwart, die gerne zur Verflachung Neigung zeigt, Handwerk und Gewerbe sich seiner Aufgabe bewußt bleiben.

 

Möge es, trotz der Ungunst der Zeit in friedlichem, wenn auch heißem Wettkampf, seinen ehrenvollen Platz sich erhalten!

blühen wachsen und gedeihen!

Das wünsche ich von Herzen.

 

 

(Von Wilh. v. Ditterich)